Samstag, 25.11.2017, 18:00 Uhr

Raum S204 in der Alten Mensa,  Eingang Wilhelm-Waldeyer-Str.,
Universitätsstr. 16,
50937 Köln

 

Der Begriff des Rackets, wie Horkheimer und Adorno ihn geprägt haben, bezeichnet eine gesellschaftliche Konstellation: die der nachbürgerlichen Gesellschaft, in der die polit-ökonomischen Formen der Vermittlung, der Tausch und das Recht durchsetzt, überformt und – wie im Nationalsozialismus – ersetzt werden durch Formen unmittelbarer Herrschaft. Rackets sind gesellschaftliche Einrichtungen, die ihren Angehörigen Protektion und materielle Gratifikationen gewähren; der Preis dafür ist die bedingungslose Unterwerfung des Einzelnen unter den informellen Apparat, die rückhaltlose Identifikation mit den von den obersten Einpeitschern ausgegebenen Parolen und die eigenverantwortliche Erfüllung der darin vorgezeichneten Ziele. Sowohl im Inneren eines Rackets als auch in seinem Verhältnis zum Rest der Gesellschaft tritt an die Stelle des Tausches die moralisch sanktionierte Erpressung. Ein Racket ist darin keine inhaltlich bestimmte, an bestimmte Lebensbereiche gebundene Einrichtung, sondern ein prinzipienloses Herrschaftsprinzip, das sich einer jeden vorgefundenen gesellschaftlichen Institution bemächtigen kann - und dabei diese Institution nach dem Urbild aller Rackets, dem Familienclan, transformiert. „Racket“ heißt deshalb: alles, was geschieht, als erweiterte Familienangelegenheit zu betrachten und nach dem informellen Gesetz der Familienehre zu behandeln.

 

Die Herrschaft von Rackets erscheint daher als Rückfall in archaische Formen der Vergesellschaftung. Aber diese Regression ist zugleich ein perverser Fortschritt, nämlich ein Zersetzungsprodukt der Moderne selbst: denn die soziale Basis von Rackets ist das in sich zerfallende bürgerliche Subjekt, das im selben Maße, wie es sich im Zerfallsprozess einrichtet und dabei den Sozialcharakter des enthemmten Subjektivisten ausprägt, selber zu einem Racket in Elementarform wird.

 

Der Vortrag entwickelt den Begriff des Rackets anhand dieses Sozialcharakters, in dem seine Herrschaft gründet; als Material dient ihm der Schuhfabrikant Heinrich Staudinger – ein Exponent und Säulenheiliger jener mittelständischen feinen Gesellschaft, die ihre Untergangsgestimmtheit in ihrer notorischen Kollaboration mit dem organisierten Islam auslebt.

 

Clemens Nachtmann ist Politikwissenschaftler und Komponist; er schreibt unter anderem für die Zeitschriften Bahamas, Jungle World und Versorgerin.

Freitag 22.09.2017, 19.30 Uhr
Probebühne (Alte Mensa/AStA Café),
Universitätsstraße 16a

Eine Veranstaltung der Georg-Weerth-Gesellschaft Köln

Mit freundlicher Unterstützung des Studierendenausschusses der Vollversammlung an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln (StAVV)

Flyer zur Veranstaltung

Die Rede vom Racket erfreut sich unter Gesellschaftskritikern – insbesondere soweit sie sich in die Tradition der Kritischen Theorie stellen – großer Beliebtheit. Vom „Racket der Ärzte“ und „antirassistischen Rackets“ über russische Oligarchen und der Türkei unter Erdogan bis zur Islamischen Republik Iran und der Organisierten Kriminalität können mit diesem Begriff offenbar all jene organisatorischen Formen persönlicher Abhängigkeiten und jede Herrschaft jenseits von Tausch und Vertrag bezeichnet werden, die sich nicht unmittelbar in den herkömmlichen Begriffsapparat fügen wollen, wobei mal die Beutegemeinschaft, mal die Schutzfunktion durch Gehorsam und mal die politische Diskurshoheit die wichtigste Bestimmung des Racketbegriffs bilden.

Dementsprechend bleibt der Begriff oftmals seltsam unbestimmt, so dass jegliche Besonderheit der verschiedenen Formen der Herrschaft verloren zu gehen droht. Wenn der Begriff des Rackets dadurch aber nicht einmal mehr ermöglicht, zwischen der Mafia und der SS, zwischen Deutschem Gewerkschaftsbund und Hamas zu unterscheiden, verliert er nicht nur jeden kritischen Gehalt, sondern trägt ganz postmodern seinen Teil zur Zerstörung jeglicher politischen Urteilskraft bei.

In der Kritischen Theorie der 1930er und 1940er Jahre hingegen, in deren textlichen Fragmenten der Begriff des Rackets Erwähnung findet, schien er vielmehr gerade jene geschichtlichen Entwicklungen fassen zu wollen, die die bisherige marxistische Klassentheorie obsolet werden ließen.

Dieser war seit Ende des 19. Jahrhunderts, als die Arbeiterklasse und ihre Organisationen zunehmend in den Staat integriert wurden, der Bezug zur gesellschaftlichen Realität abhanden gekommen. Ebenso wenig vermochte es der traditionelle Marxismus, den durch das Bündnis von Kapital und Arbeit entstehenden Volksstaat begrifflich zu fassen, der zunehmend als Gesellschaftsplaner in Form eines bürokratischen Sozial- und Verwaltungsstaates auftrat. Dieser ersetzte durch Interventionen und deficit-spending die über den Markt vermittelte Zirkulation, zugleich wurden durch das Regieren in Form von Notverordnungen und Präsidialkabinetten aufgrund fehlender parlamentarischer Mehrheiten die Gewaltenteilung und durch temporäre Verhängung des Ausnahmezustands die individuellen Bürgerrechte eingeschränkt, obwohl gleichzeitig Konkurrenz, relative Mehrwertproduktion und Rechtsstaat formell weiter fortbestanden.

Der Begriff des Rackets, soweit er von Max Horkheimer als gesellschaftliche Organisation der Verteilung von Beute und Gewährung von Schutz im Gegenzug zu rückhaltlosem Gehorsam verstanden wird, scheint daher wie ein Versuch, diese Abschaffung der gesellschaftlichen Vermittlung theoretisch zu fassen.  Gleichzeitig wirft dies die Frage der Souveränität auf, da unklar bleibt, ob eine in miteinander konkurrierende und verfeindete Rackets zerfallende Gesellschaft überhaupt noch in Einheit zu bringen ist und worin diese Einheit bestehen könnte.

Soweit eine Theorie des Rackets bei diesen Überlegungen aus den 1930er und frühen 1940er Jahren stehen bleibt, die sich letztlich doch um die Analyse des Nationalsozialismus dreht, verweigert sie sich jedoch der Einsicht, dass die Herrschaft der Rackets im Nationalsozialismus nicht mehr bloße Schutz- und Beutegemeinschaften bedeutete. Zugleich versäumt es eine solche Begriffsbestimmung, die Aktualität des Racketbegriffs auch in der postnazistischen Gesellschaft in den Blick zu nehmen. Wenn der Nationalsozialismus und seine politische Struktur einfach auf die postnazistische Demokratien, islamistische Terrorgruppen oder politische Interessensverbände übertragen wird, geht sowohl die Spezifik des Nationalsozialismus unter als auch ein adäquater Begriff der herrschenden Verhältnisse.

Der Nationalsozialismus radikalisierte und vollendete die Zerstörung der politökonomischen Vermittlungen der bürgerlichen Gesellschaft, indem er das Parlament zerschlug und die verbliebenen Berufsorganisationen in staatliche Massenorganisationen überführte. Zugleich ersetzte er in der zunehmend auf Kriegswirtschaft ausgerichteten Produktion den Markt durch staatlichen Rüstungskonsum und ordnete die gesellschaftliche Arbeit dem Vorbehalt der Nützlichkeit für Volk und Führer unter, was mit der Abschaffung persönlicher Grundrechte einherging. Hierdurch entstand jedoch gerade kein durchorganisierter Staat mit starrer Bürokratie und klar davon abgegrenzter Partei als jenen tragende Bewegung. Vielmehr bedeutete die Abschaffung der Vermittlung zugleich die Entfesselung der panischen und auf ihr „bestialisches Eigeninteresse“ (H. Marcuse) reduzierten Subjekte. Die verschiedenen Gliederungen der nationalsozialistischen Massenorganisation, die Parallelität von Partei, SS, Staatsbürokratie, Wehrmacht und Wirtschaft schaltete diesen entfesselten Subjektivismus nicht etwa aus, sondern gab ihm erst die entgrenzte Form, innerhalb derer er sich hemmungslos austoben konnte. Über allem stand der reale oder imaginierte Führerwille, der so diffus war, dass letztlich erst die absolute Feinderklärung gegen die Juden eine stets prekäre Einheit zu stiften in der Lage war. Die in den unterschiedlichsten Gruppen und Bewegungen eingebundenen Subjekte konkurrierten zwar miteinander um Karriere, Beute und Schutz, aber die Dynamik des allseitigen Kampfes stellte auch die Bedingung für eine permanente Radikalisierung des Judenmordes. Die fehlende Einheit der Rackets realisierte sich daher durch die Vernichtung der als „Gegenrasse“ projizierten Juden, gleichermaßen als Antizipation wie Umsetzung des Führerwillens - eine Dynamik, die nur durch die militärische Gewalt der Alliierten von außen gestoppt werden konnte.

Der Sieg der Alliierten bedeutete die aufgezwungene Reinstallation der markt- und rechtsförmigen Vermittlungen in Form einer reproduktiven Ökonomie sowie eines Rechtstaats mit Parlament und Gewaltenteilung. Dies geschah jedoch auf der politischen, wirtschaftlichen und sozialpathologischen Grundlage der nationalsozialistischen Gesellschaft. So wurden zur Verhinderung einer erneuten Verfassungskrise Teile des nationalsozialistischen Ausnahmezustands in die rechtsstaatliche Normalität integriert, während die Sozialpartnerschaft zwischen Kapital und Arbeit die demokratisierte Fortsetzung der Reichsarbeitsfront bedeutete. Die nationalsozialistische Politik der totalen Mobilmachung zur Vernichtung wurde so einerseits in das einzelne Subjekt wie in die Formen der gesellschaftlichen Vermittlung selbst verlagert, andererseits waren und sind es gerade diese, die in Gestalt der formellen, abstrakt-allgemeinen Grundrechte einer erneuten allgemeinen Mobilmachung Grenzen setzen. Auch wenn sich große Teile der deutschen Bevölkerung und insbesondere der deutschen Eliten heutzutage als geläuterte Vergangenheitsbewältigungsweltmeister und antirassistische Großmacht verstehen, so hat die nach 1945 durchgesetzte Reeducation eher zu einer Kanalisierung, Bändigung und Umleitung der wahnhaften und destruktiven Triebe auf Ersatzobjekte bei gleichzeitiger Verwehrung der asozialen Trieberfüllung geführt. Die formale Zivilisierung der Deutschen, zu der diese Reeducation unzweifelhaft beigetragen hat, heizt daher gleichzeitig die destruktive Dynamik innerhalb der Subjekte an. Dies ist auch der Grund, warum die postnazistischen Subjekte gerade dann gegen gesellschaftliche Institutionen wie Bürokratie, Justiz oder auch die Wissenschaft agitieren, wenn sie sich in der Ausübung ihres Größenwahns, ihrer wahnhaften Meinungsbildung wie ihres Strafbedürfnisses gehindert fühlen. Soweit sie sich dabei zu Kampagnen, Bewegungen oder sogar Parteien zusammenrotten, scheint es diesen bislang jedoch an der nötigen dauerhaften Bindung zu fehlen, gerade weil eine erneute Einheit in der Vernichtung der Juden schon qua antifaschistischem Selbstverständnis verunmöglicht wird und zudem das zwiespältige Credo, wonach die Sicherheit Israels Teil der deutschen Staatsraison sei, vorerst auch eine offene militärische Mobilmachung gegen Israel verhindert. Während Islamisten ihre Judenfeindschaft nur dank Ausländerbonus und Opfergehabe relativ ungehindert verbreiten können, sind Neonazis gesellschaftlich und politisch noch immer marginalisiert. Beide eint jedoch, dass sie das einheitsstiftende Moment des Antisemitismus erkannt haben und sich solcherart als eine Alternative für Deutschland und die Welt anpreisen, die in einer zerrissenen Welt wieder Ordnung und Sicherheit schaffen könne. Die etablierten Parteien und Verbände in Deutschland begegnen diesem Werben zunehmend hilflos und verweisen darauf, dass nach ihnen alles nur noch schlimmer werde. Der Erfolg - geringe Arbeitslosenquote und wirtschaftliche Prosperität - gebe dem Modell der liberalen Demokratie recht.

Unsichtbar wird hierbei jedoch, dass der paternalistische Sozialstaat als einstiger Garant gesellschaftlicher Einheit durch Wohlstand spätestens seit der Verabschiedung der Hartz-Gesetze wieder weniger als fürsorglicher Vater, sondern zunehmend als reine Zwangsgemeinschaft auftritt, was mit einem gleichzeitigen Auslagern einstiger staatlicher Aufgaben und Leistungen an gesellschaftliche Institutionen einhergeht, in deren innerer Organisation die ansonsten geltenden politökonomischen Vermittlungen zum Teil bereits außer Kraft gesetzt sind – die also den vollen Gehorsam des Unterworfenen fordern – und deren Zweck in der Verteilung der Beute und der Aufrechterhaltung eines gewissen Maßes gesellschaftlicher Ordnung zu liegen scheint.

Das neoliberale „Outsourcing des Staates“ hat zu der Situation geführt, dass nun nicht-staatliche Gruppen zunehmend Ordnungsfunktionen des alten, zentralisierten Sozialstaates übernehmen. Es ist kein Zufall, dass der Bedrohung durch islamischen Terrorismus nicht nur durch Repression und Integrationspolitik begegnet wird, sondern auch durch eine Aufwertung der Moscheevereine und Imame zu community-internen Ordnungshütern. Die Tatsache der Parallelgesellschaften wird damit freimütig akzeptiert und in schlecht kommunitaristischer Manier den bärtigen Männern überlassen, sich doch bitte um die eigenen Belange selbst zu kümmern. Nicht nur materiell, vor allem ideologisch scheint die bestehende Gesellschaft nichts mehr anzubieten zu haben, was die fragmentierten Gruppen im Sinne eines gesellschaftlichen Konsenses einen könnte. Damit schlägt die Stunde der racketeers, die nicht nur ideologische Rationalisierungen des subjektiven Wahns im Gepäck haben, sondern auch materielle Absicherung und die Ausagierung destruktiver Triebe anbieten.

Vortrag und Diskussion mit Manfred Dahlmann (Wien)

Im politischen Diskurs der Berliner Republik ist es Gemeingut, die politischen und ökonomischen Interessen der Bundesrepublik als europäische auszugeben. Aus der Epoche des Nationalismus, die in zwei Weltkriege mündete, habe besonders Deutschland gelernt, dass partikularistische Lösungen nur in die Katastrophe führen könnten. Deshalb bedürfe es einer universalistischen, gesamteuropäischen Anstrengung. Die Verlierer dieses „europäischen Weges“ aber wollen partout nicht vergessen, woher Deutschland seinen Standortvorteil in der Staatenkonkurrenz historisch bezieht: dem nationalsozialistischen Raub- und Vernichtungskrieg. Um so ressentimentgeladener reagieren die Deutschen, wenn sie daran erinnert werden, dass diese Vergangenheit noch immer nicht abgegolten ist,
sondern die ökonomische wie politische Grundlage des vermeintlich postnationalen Europas bildet. Doch die Strategie der griechischen Regierung, den Deutschen den Misserfolg eines durch und durch korrupten und maroden Staates in die Schuhe zu schieben, ist trotzdem nichts als linker Populismus: denn so sehr die Deutschen ihre eigenen partikularen Interessen als universalistische camouflieren, so sehr hängt andererseits die Stabilität der Eurozone tatsächlich von der politischen Souveränität des postnazistischen Staates ab.

Manfred Dahlmann ist Herausgeber der ideologiekritischen Zeitschrift sans phrase und schreibt für die Wochenzeitung Jungle World. Zuletzt erschien von ihm im ça ira-Verlag Freiheit und Souveränität. Kritik der Existenzphilosophie Jean Paul Sartres.

11. Dezember 2015, 19 Uhr
Alte Mensa (AStA-Café, Studiobühne), Universitätsstr. 16, Eingang Wilhelm-Waldeyer-Straße, Raum S204, 50937 Köln

Veranstaltet von der Georg-Weerth-Gesellschaft Köln

Am 12. Dezember 2015 veranstaltet die Georg-Weerth-Gesellschaft Köln zusammen mit dem Referat
für Politische Bildung des AStA der Universität Bonn außerdem ein Tagesseminar zum Thema mit Manfred Dahlmann. Das Seminar findet von 13–19 Uhr im Ulrich-Haberland-Saal (Auf dem Hügel 16) in Bonn statt.

Vortrag von und Diskussion mit Horst Pankow am 19.11.15 ab 20:15 Uhr im Hörsaal 8 des Hauptgebäudes der Universität Bonn 

München, 6. September 2015: Zu Aufführung gelangt das neue deutsche Gesamtkunstwerk „Willkommenskultur“. „Jedes Mal, wenn ein Zug mit Flüchtlingen ankommt, und die Ankommenden hinter Absperrgittern zu den bereitstehenden Bussen geleitet werden“, vermelden andächtig die Reporter der Süddeutschen Zeitung, „applaudieren die vielen Zuschauer, die in den Starnberger Flügelbahnhof gekommen sind. Ein feiner, auf- und abbrandender Applaus ist das. Er sagt mehr als Worte es können.“ Und wenn Worte ergriffen ihrem Zweck entraten, ist das auch hier: „Ein Wahnsinn. Irgendwie ist dieses ganze Wochenende in München ein bisschen wahnsinnig.“

Das kennt man aus der jüngeren deutschen Geschichte: Den Wahnsinn der Siege im Blitzkrieg, den Wahnsinn des „Wirtschaftswunders“ und der Fußballweltmeisterschaften, und nicht zuletzt den Wahnsinn der Maueröffnung vor 26 Jahren, als das Wort gewissermaßen zur verbalen Duftnote deutscher Besonderheit erhoben wurde. Am darauf folgenden Wochenende schwelgte auch ein Kommentator der FAZ ganz im Bann vergangener Bilder: „In München werden Züge begrüßt, als säßen darin die letzten DDR-Flüchtlinge aus der Botschaft in Prag.“ (FAZ 12. 09.) Viele der dramatischen Massenaufnahmen aus den Geburtsstunden der neuen deutschen Metamorphose Flüchtlingsdeutschland erscheinen wie Reinszenierungen des Untergangs der DDR. Auch damals trug das Überschreiten osteuropäischer Grenzen durch Menschenmassen zur medialen Dramatisierung der Ereignisse bei.

Das aktuelle „Sommermärchen“ der Entstehung Flüchtlingsdeutschlands beschert keinen territorialen Gewinn, vielmehr immensen Bevölkerungszuwachs. Der ist angesichts rapider Entwertung des variablen Kapitals, der menschlichen Arbeitskraft, in Zeiten zunehmend digitaler Kapitalverwertung ökonomisch voraussichtlich genau so viel oder so wenig nützlich wie der Zuwachs an Ostdeutschen vor 25 Jahren.

Ironischerweise sind auch diese wieder aufgetaucht, mit Fahnenschwenkerei und nationalem Freiheitspathos. „Wir sind das Volk“ schreien sie auch heute wieder, doch nunmehr wird das Pack von den Herrschenden nicht mehr gebraucht und deshalb von Typen wie Sigmar Gabriel auch als solches bezeichnet. Den vorwiegend ostdeutschen Pegida-Anhängern und anderen Neidbeißern wirft die politische Klasse ihre offen zur Schau gestellte Unfähigkeit vor, sich den Erfordernissen spätkapitalistischer Ökonomie anzupassen, zu deren hehren Idealen gutgelaunte Teamfähigkeit ebenso wie Weltoffenheit und Flexibilität zählen. Das inzwischen unglaubwürdig gewordene Bild des erfolgreichen Ostdeutschen, der von den Segnungen der Marktwirtschaft profitiert und dadurch zugleich eine Bereicherung für die Allgemeinheit darstellt, wird von den Massenmedien wie Politikern des neuen Deutschlands heute durch das eines leistungs- und erfolgsorientierten Flüchtlings ersetzt. Wie zuvor die hässlichen Seiten der ostzonalen Barbarei ignoriert wurden, um den schönen Schein zu wahren, so wird von den Flüchtlingsfreunden ausgeblendet, dass ein großer Teil der Neuankömmlinge Ländern entstammt, in denen die antiwestlichen Lehren und Praktiken des sunnitischen Islams das Leben dominieren. Dass diese Weltanschauung im Widerspruch zum bürgerlichen Ideal der individuellen Freiheit steht, wird als antiislamische Stimmungsmache abgetan, weil einem selbst nicht mehr viel an einer vernünftig eingerichteten Welt liegt; sich selbst einzurichten und mit dem Unheil abzufinden ist bequemer und ökonomisch effizienter.

Ob die Flüchtlinge, die nun als postnationale Nomaden und Zukunftsversprechen auf zwei Beinen gefeiert werden, selbst wissen, dass sie vor den Zumutungen des Islams und seinen Folgen geflohen sind oder ob sie sich weiterhin mehrheitlich mit dieser totalitären Ideologie identifizieren, ist noch nicht eindeutig zu beantworten. Sie kritiklos in ihrem scheinbar angeborenen “Moslemsein” zu bestätigen, dürfte die Gefahr, dass der islamische Faschismus in Deutschland durch den gewaltigen Flüchtlingsstrom gestärkt wird, allerdings deutlich erhöhen.

Vor diesem Hintergrund sollen folgende Fragen erörtert werden: Was sind die wesentlichen Motive des neuen deutschen Zuwanderungsoptimismus? Wie ist das Verhältnis von multikulturell eingestellter „Stamm-BRD“ und völkisch-national gesinnten Ostdeutschen einzuschätzen? Welche Rolle spielt die traditionelle deutsche Linke innerhalb des aktuellen Spektakels? Gibt es sie überhaupt noch, oder ist sie bereits in einer neuen Rolle informeller „antifa“-Hilfspolizei aufgegangen? Worin bestanden die traditionellen ideologischen Begründungen von „Asylpolitik“ und welche Veränderung erfahren sie derzeit? Wie positioniert sich eine an gesellschaftlicher Emanzipation orientierte Gesellschaftskritik angesichts der neuen Entwicklung, die möglicherweise auf eine Stärkung des autoritären Islam in Europa hinausläuft?

Eine Veranstaltung der Georg-Weerth-Gesellschaft Köln und des Referats für politische Bildung des AStA der Universität Bonn. Der Eintritt ist wie immer frei.